Fürther Nachrichten, 30.05.2006

Der Text ist eine Lüge
Eugen Gomringer, der Chef - Designer der Poesie



Knapp hundert Menschen lauschen dem 81-Jährigen. Gomringer liest zwar auch einige Gedichte, hat sich aber im Grunde für ein Kolloquium in Sachen konkrete Poesie entschieden. Kurzweilig erläutert er, wie der Begriff entstand. Die bildende Kunst war dabei prägend, Werke von Mondrian und Kandinsky. Betrachtet man Gomringers Gedichte, die mit der Materialität der Schrift spielen, folgt er der abstrakten Malerei, die er „konstruktiv“ nennt, erstaunlich weit.
In die Dichtkunst wurde der Begriff von Gomringer, der 1925 in Bolivien geboren wurde, 1953 eingeführt. Die Wörter tragen keine Bedeutung mehr, sondern werden als visuelle Gestaltungselemente eingesetzt. Die grafische Anordnung eines Textes unterstreicht oder ironisiert den Inhalt. Berühmtestes Gomringer - Beispiel:
Der Satz „Kein Fehler im System“, vielfach untereinander geschrieben, aber jedes Mal ist etwas falsch. Viel zitiert wurde sein Gedicht „Schweigen“, in dem das Wort so angeordnet ist, dass in der Mitte ein weißer Fleck, das unsagbare Schweigen, verbleibt.
Gomringer nennt seine Gedichte „Konstellationen“, weil es ihm um die neuartige Zusammensetzung der einzelnen Elemente geht. „Sprache dient nicht mehr der Beschreibung eines Sachverhalts oder Gedankens, sondern wird selbst zum Zweck des Gedichts“, definiert Gomringer. Wörter und Buchstaben werden aus dem Zusammenhang herausgelöst und treten dem Betrachter ganz „konkret“ gegenüber. Ein Gegenpol zur sprachlichen Reizüberflutung? „Ja und nein“, erläutert Gomringer im Gespräch.
„Sprache hat keine Verweisfunktion mehr. Die Methode der konkreten Poesie ist eine antipoetische Meditation über die poetische Sprechweise. Es gibt kein Thema, sondern nur noch eine Realität an sich.“
Was Gomringer da erfand, ist keine geschlossene Form, sondern das Rezept für fast unbegrenzte Design - Möglichkeiten. Ein Kartenspiel, das der Leser in die Hand bekommt, um sich damit zu vergnügen. Entsprechend entdeckte auch die Werbung die Kraft der plakativ angeordneten Worte. Ist hier schon eine Inflation eingetreten? „Das könnte man so sehen. Zuerst sollte die konkrete Poesie eigentlich die Theorie abgeben. Wir haben selbst alle auch Werbung gemacht. Ich glaube, dass man wieder auf die klassischen, einfachen Beispiele zurückkommen wird“, so Gomringer. „Wir haben die Dichtung in gewissem Sinne zu Ende gebracht, aber auch viel Neues angestoßen.“

Vielseitige Schau
Die ganze Bandbreite von Gomringers Schaffen ist in der Ausstellung zu erleben. Eine Gedichtmappe in limitierter Auflage, eine signierte Metallarbeit, ein witziges Irland-Gedicht, das mit den Worten green, sheep und cow spielt und vielmehr kann man entdecken, hauptsächlich in Siebdruck auf Leinen. Komplettiert wird die Schau mit einer Videoinstallation und „konkreten“ Bildern befreundeter Künstler wie Günther Uecker, Otto Hajek oder Silvia Cavelti, die Gomringer teils selbst aus seiner Sammlung zur Verfügung stellte. Eine echte Bereicherung.
CLAUDIA SCHULLER

Info:
„Eugen Gomringer - Konkrete Poesie“, bis zum 23. September in der Galerie in der Promenade, Königswarterstraße 62.